Einleitung: Zwischen Bauchgefühl und Datenblindheit
Marktforschung wird noch immer unterschätzt, fehlinterpretiert oder ganz ignoriert. Zwischen blindem Bauchgefühl auf der einen und datengetriebener Scheinsicherheit auf der anderen Seite fehlt oft das methodische Fundament für gute Entscheidungen.
Viele Unternehmen investieren in aufwändige Kampagnen, neue Produktlinien oder umfassende Employer-Branding-Maßnahmen – ohne vorher zu prüfen, ob die Zielgruppe überhaupt das Bedürfnis hat, das bedient werden soll. Andere holen sich zwar Feedback ein, ziehen daraus aber keine brauchbaren Schlüsse, weil das Design der Studie fehlerhaft war oder weil Ergebnisse nicht konsequent umgesetzt werden.
Dieser Artikel räumt mit den fünf größten Irrtümern über Marktforschung auf. Irrtümer, die wir als Marktforschungsinstitut regelmäßig hören – in Briefings, in Workshops, in Gesprächen mit Entscheidern. Wer diese Missverständnisse versteht, trifft fundiertere Entscheidungen, spart Ressourcen und schafft echten Mehrwert – für Kunden, Marke und Unternehmenserfolg.
Irrtum 1: „Unsere Kunden sagen uns schon, was sie wollen“
Dieser Satz klingt zunächst vernünftig – schließlich sind es ja die Kunden, die kaufen sollen. Doch genau hier beginnt das Problem: Wer sich ausschließlich auf das verlässt, was Kunden spontan äußern, begibt sich in eine gefährliche Komfortzone.
Verzerrung durch selektives Feedback
Kundenfeedback erreicht Unternehmen meist über Servicekanäle, Bewertungen oder persönliche Gespräche. Dabei entsteht eine systematische Verzerrung: Nur besonders zufriedene oder verärgerte Kunden äußern sich, während die breite Mitte schweigt. Unternehmen erhalten so ein unvollständiges Bild – und treffen Entscheidungen auf Basis von Extrempositionen.
Soziale Erwünschtheit und strategisches Antworten
In klassischen Kundenbefragungen geben Menschen oft nicht das an, was sie wirklich denken, sondern das, was sie für sozial akzeptabel oder „richtig“ halten. Im B2B-Umfeld oder bei sensiblen Themen spielt zusätzlich eine strategische Komponente mit: Befragte geben bewusst bestimmte Antworten, um Vorteile zu erzielen oder Ausschluss aus der Studie zu vermeiden.
Der Unterschied zwischen Wunsch und Verhalten
Noch gravierender ist der Irrtum, dass geäußerte Wünsche gleichbedeutend mit tatsächlichem Verhalten sind. Viele Konsumenten sagen zwar, sie würden mehr für Nachhaltigkeit zahlen – handeln aber im Supermarkt ganz anders. Erst die Verbindung von deklarativen und beobachtbaren Daten zeigt, was wirklich zählt.
Fallbeispiel: Produktlaunch ohne echte Nachfrage
Ein mittelständisches Unternehmen entwickelte ein innovatives Verpackungskonzept, das in Fokusgruppen Begeisterung auslöste. Doch der Markterfolg blieb aus – weil die Kaufbereitschaft im realen Umfeld fehlte. Eine vorgelagerte quantitative Marktforschung mit Kaufwahrscheinlichkeiten hätte den Misserfolg verhindern können.
Fazit: Kundenmeinungen sind wichtig – aber sie müssen systematisch, methodisch korrekt und kontextbezogen erhoben werden. Wer sich nur auf anekdotisches Feedback verlässt, spielt mit hohem Risiko.
Irrtum 2: „Marktforschung ist nur was für große Unternehmen“
Dieser Irrtum hält sich hartnäckig – besonders im Mittelstand oder bei Start-ups. Die Vorstellung: Marktforschung sei ein teures Luxusgut, das sich nur Konzerne mit Millionenbudgets leisten können. Die Realität: Gerade kleinere und mittlere Unternehmen profitieren von fundierter Marktforschung – weil ihre Fehlentscheidungen oft unmittelbar durchschlagen und weniger Spielraum für Korrekturen bleibt.
Risikoabsicherung bei begrenzten Ressourcen
Während große Unternehmen sich Markteintritte oder Produktflops in begrenztem Maß „leisten“ können, sind kleinere Unternehmen auf einen hohen Return on Investment angewiesen. Jeder Produktlaunch, jede Kampagne, jede Neupositionierung muss sitzen. Hier wirkt Marktforschung wie eine Versicherung: Sie schützt vor Blindflügen und unnötigen Streuverlusten.
Moderne Tools machen Research skalierbar
Die Zeiten, in denen Marktforschung ausschließlich aus mehrwöchigen Großstudien bestand, sind vorbei. Digitale Panels, agile Onlinebefragungen, Tools oder modulare Studienformate ermöglichen es auch kleineren Unternehmen, zielgerichtete Erkenntnisse zu gewinnen – ohne Budgetexzesse.
Kleine Unternehmen, große Wirkung
Insbesondere Start-ups mit innovativen Ideen können durch gezielte Marktforschung Investoren überzeugen, den Product-Market-Fit schärfen oder Werbebudgets effizient einsetzen. Ein klar formulierter Insight – etwa zum tatsächlichen Kaufmotiv – ersetzt nicht nur Bauchgefühl, sondern wird zum strategischen Asset. Häufig nutzen unsere Kunden die Ergebnisse der Marktforschung, um Investoren das Potenzial nicht nur aufzuzeigen, sondern objektiv zu untermauern – oft mit großem Erfolg.
Irrtum 3: „Marktforschung bestätigt nur das Offensichtliche“
Wozu Geld ausgeben, wenn das Ergebnis ohnehin schon feststeht? Diese Denkweise ist gefährlich – und leider weit verbreitet. Tatsächlich liegt der Fehler oft nicht in der Marktforschung selbst, sondern im falschen Umgang damit: Wenn Studien nur zur Bestätigung vorgefasster Meinungen genutzt werden, sind Erkenntnisse zwangsläufig banal.
Der Bestätigungsfehler im Projektstart
Häufig werden Studien mit einer impliziten Zielvorgabe gestartet: Eine neue Kampagne soll getestet werden, aber eigentlich steht schon fest, dass sie umgesetzt wird. Das Briefing ist dann weniger eine offene Fragestellung als eine Erwartungshaltung: „Bitte belegen Sie, dass unsere Idee gut ist.“ Die Marktforschung wird zur Legitimation – nicht zur Erkenntnisgewinnung.
Erkenntnisse entstehen durch gute Fragen
Ob eine Studie Neues zutage fördert oder nur Bekanntes wiederholt, hängt entscheidend vom Studiendesign ab. Wer breit und ungerichtet fragt, bekommt durchschnittliche Antworten. Wer gezielt Hypothesen aufstellt, Zielgruppen differenziert analysiert und die richtige Methode wählt, wird überrascht – positiv wie negativ.
Beispiel: Ein Dienstleister wollte wissen, ob seine Kunden mit dem Online-Service zufrieden sind. Die interne Erwartung: hohe Zufriedenheit. Die offene Befragung ergab jedoch, dass viele Kunden zwar mit dem Service selbst zufrieden waren, aber große Schwierigkeiten hatten, diesen auf der Website überhaupt zu finden. Die Lösung war kein besserer Service – sondern eine bessere Nutzerführung.
Die Komfortzone der scheinbaren Gewissheit
Viele Entscheider haben Angst vor unbequemen Ergebnissen. Lieber bestätigt man die eigene Sichtweise, als sich mit kritischen Insights auseinanderzusetzen. Dabei liegt genau darin der Wert von guter Marktforschung: Sie bringt Unstimmigkeiten ans Licht, deckt blinde Flecken auf und macht Potenziale sichtbar, die sonst übersehen würden.
Fazit: Wer nur das Offensichtliche sucht, findet nichts Neues. Marktforschung ist dann wertvoll, wenn sie gezielt Unbekanntes beleuchtet. Voraussetzung: Mut zur Offenheit und ein methodisch sauberes Vorgehen.
Irrtum 4: „Online-Umfragen sind unzuverlässig“
Noch immer haftet Online-Umfragen der Ruf an, sie seien methodisch minderwertig: „Da klickt doch jeder irgendwas“, „Das sind keine echten Menschen“, oder: „Repräsentativ ist das doch nicht.“ Solche Vorbehalte stammen oft aus einer Zeit, in der Online-Befragungen noch in den Kinderschuhen steckten – und halten einer aktuellen Betrachtung nicht mehr stand.
Qualität ist keine Frage des Kanals, sondern der Durchführung
Online-Befragungen können dann unzuverlässig sein, wenn sie lieblos umgesetzt werden: schlecht rekrutierte Teilnehmer, mangelnde Kontrolle, fehlende Plausibilitätschecks. Doch das ist kein Problem der Methode, sondern der Anbieter. Professionell durchgeführte Online-Studien verfügen heute über ausgefeilte Qualitätssicherungsmechanismen – von Attention Checks bis zu Echtzeit-Verhaltensdaten zur Plausibilitätsprüfung.
Repräsentativität ist möglich – wenn man sie will
Ein häufiges Argument gegen Online-Umfragen: „Unsere Zielgruppe ist dort gar nicht vertreten.“ Doch das stimmt selten. Durch sorgfältig gepflegte Panels lassen sich heute nahezu alle Zielgruppen online abbilden – vom Azubi bis zur Führungskraft, vom Technikaffinen bis zum Digitalmuffel. Entscheidend ist die Rekrutierung, nicht der Kanal.
Online als Enabler für Agilität und Tiefe
Online-Methoden ermöglichen nicht nur Geschwindigkeit und Reichweite, sondern auch innovative Formate: adaptive Fragebögen, Echtzeit-Auswertungen, Integration von Videos oder Storyboards, Testing von Werbemitteln, Preisbereitschaftsanalysen – alles ist möglich, ohne monatelange Feldzeit.
Fazit: Online-Umfragen sind nicht per se besser oder schlechter als andere Methoden. Sie sind ein Werkzeug – und ihre Qualität hängt davon ab, wie man sie einsetzt. Wer moderne Online-Forschung professionell aufsetzt, erhält valide, schnelle und tiefgehende Erkenntnisse – auch für anspruchsvolle Fragestellungen. Dass sie generell unzuverlässig seien, ist ein Irrtum.
Irrtum 5: „Wir haben keine Zeit für Marktforschung“
In vielen Unternehmen ist Zeit das knappste Gut – insbesondere in Marketing, Produktentwicklung oder HR. Wenn der Launch-Termin steht, die neue Kampagne „morgen live“ gehen soll oder die Entscheiderrunde drängt, fällt ein Satz besonders oft: „Für Marktforschung ist jetzt leider keine Zeit mehr.“ Doch genau dieser Reflex führt zu vermeidbaren Fehlern – und am Ende oft zu Zeitverlusten.
Kurzfristiger Aktionismus statt langfristiger Wirkung
Schnelle Entscheidungen wirken effizient, doch ohne empirische Grundlage basieren sie auf Annahmen – nicht auf Wissen. Eine falsche Botschaft, eine unpassende Verpackung, ein irrelevantes Argument in der Stellenanzeige: All das kostet nicht nur Budget, sondern auch Vertrauen und Reichweite. Und führt häufig dazu, dass später aufwendig nachgebessert werden muss.
Marktforschung muss nicht langsam sein
Moderne Marktforschung ist längst nicht mehr gleichbedeutend mit monatelangen Großprojekten. Pretests für Werbemittel, Ad-Hoc-Umfragen zur Markenwahrnehmung oder schnelle Konzepttests lassen sich in wenigen Tagen umsetzen. Agile Formate, schlanke Fragebögen und bewährte Templates machen es möglich.
Schnelligkeit gewinnt – wenn sie fundiert ist
Gerade unter Zeitdruck lohnt sich eine schnelle Marktforschung – denn sie erhöht die Trefferwahrscheinlichkeit und verhindert teure Umwege. Statt aus dem Bauch zu entscheiden, reicht oft eine schlanke Datenbasis, um Klarheit zu gewinnen. Entscheidend ist, Forschung früh genug mitzudenken – nicht erst, wenn alles fertig ist.
Fazit: Zeitmangel ist kein Argument gegen Marktforschung – sondern eines dafür, sie intelligent zu integrieren. Wer schnell sein muss, kann es sich nicht leisten, ins Blaue zu handeln. Präzise Insights sparen nicht nur Budget, sondern auch Zeit – wenn man sie rechtzeitig einholt.
Kurzum: Wer die Irrtümer kennt, trifft bessere Entscheidungen
Marktforschung ist kein Selbstzweck – sie ist ein strategisches Werkzeug. Doch wie jedes Werkzeug entfaltet sie nur dann ihre volle Wirkung, wenn man sie richtig einsetzt. Die fünf vorgestellten Irrtümer zeigen: Häufig scheitert Marktforschung nicht an der Methode, sondern an falschen Erwartungen, Missverständnissen oder unterlassenem Handeln.
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Wer sich nur auf das verlässt, was Kunden ungefragt äußern, riskiert ein verzerrtes Bild.
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Wer glaubt, Marktforschung sei nur für Konzerne, vergibt gerade im Mittelstand große Chancen.
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Wer nur Bestätigung sucht, wird keine neuen Erkenntnisse gewinnen.
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Wer Online-Methoden pauschal ablehnt, verpasst Geschwindigkeit und Effizienz.
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Und wer glaubt, keine Zeit für Research zu haben, handelt oft am Bedarf vorbei.
Gute Marktforschung beginnt mit der richtigen Fragestellung und einem offenen Mindset. Sie ist dann besonders wertvoll, wenn sie unerwartete Einsichten liefert – und Entscheidungen auf eine belastbare Basis stellt. Ob es um Produktentwicklung, Kommunikation, Marke oder Arbeitgeberpositionierung geht: Die richtigen Daten zur richtigen Zeit sind oft der Unterschied zwischen Mittelmaß und Markterfolg.